Sonntag, 9. August 2009

Teil 7 - Chinese Trains

Ich reise Sitzplatz. Und in China bedeutet Sitzplatz auch wieder Sitzplatz. Und Stehplatz ist Stehplatz, von diesen Karten werden dann auch gleich zahlreich viele Karten verkauft, was wiederum fuer einen Sitzplatzkartenkaeufer heisst, dass er nicht zwingend die Beinfreiheit hat, die er sich durch seinen Sitzplatzkartenkauf vielleicht erhofft hat, weil diese Beinfreiheit durch die vielen Stehplatzkartenkaeufer gebraucht wird.

Tja, China ist ein Land mit zu vielen Leuten, die Zug fahren moechten.
Nicht, dass die ausserordentlich vielen Sitz- und Stehplatzkartenreisenden nicht genug waeren um einen Zug zu fuellen, NEIN, die Sitz- und Stehplatzkartenkaeufer bringen noch pro Kopf so rund zwei in 3x4 Quadratmeter Gewebe-Tueten (mit lustigen Karomustern) verpackt ihren Haussstand mit, um diesen durch ihr grossen Land spazieren zu fahren.

So ein mit allerlei Mensch wie Ding beladener Waggon zeichnet sich noch durch den Luxus von mindestens 10 in einer Reihe angebrachten Deckenventilatoren aus, so dass sich die feuchtwarme Hitze Chinas mit den Ausduenstungen der Personen zumindest ertraeglich vermischt.

Eine weitere Beobachtung meinerseits ist, dass im chinesischen Wortschatz mit Sicherheit NICHT existierende Wort "Laermbelaestigung". In China ist alles LAUT. Das wissen wir ja schon. Die Basis der Geraeuschkulisse ist die schon erwaehnte hoch-frequentierte Stimmlage, die die ganze Dynamik von forte bis fortissimo voll einsetzt. Im Zug bekommt das Thema LAUT neben der China-Basis-Geraeuschkulisse, noch einige Dezibel mehr. Partiell kommt hinzu: Die Fenster sind offen, wegen der sonst unertraeglichen Hitze, und wenn ein Zug mit Hochgeschwindigkeit (ja, die gibt es hier!) aus der entgegengesetzten Richtung kommt, gibt es einen grossen Knall (der mich immer wieder nahe an den Herzinfarkt bring) und einem saemtliche Dinge die in der Naehe des Fensters aufgereiht sind, im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren fliegen laesst. Zweite partielle Laermquelle sind die vielen kleinen Elektronikgeraete, welche der mitteilsame Chinese gern laut und fuer ALLE Mitreisenden einstellt, weil in China mit Sicherheit jeder hoeren will, welche Musik der Nachbar auf seinem Mobiltelefon zu hoeren pflegt.
ICH hoffe derweil, dass die Akku- und Batterienwelt qualitativ einen genauso schlechten Ruf hat, wie der Rest der chinesischen Produkte...

Schlussendlich habe ich noch das unglaubliche Glueck in der Bank hinter mir eine Fancy-Chinesin sitzen zu haben, die gluecklicher neuer Besitzer einer beweglichen Plastikpuppe im traditionell chinesischen Gewand ist. Beruehrt man diese Puppe, leiert diese (Frequenz immerhin noch am Rande des ertraeglichen) im chinesischen Sing-Sang ein einminuetiges Potporri herunter.

Drei bis Viermal diese Puppe in einem deutschen Zug zu betaetigen waere vielleicht normal. Hier aber wird sie zum Dauerbrenner, Gassenhauer, Flow-Effect, running-Gag und Zwangs-Ohrwurm, indem sie pausenlos acht Stunden am Stueck immer wieder betaetigt wird. Keinem, wirklich KEINEM, scheint das auf die Nerven zu gehen und ich muss mich damit begnuegen Zeichnungen dieser Puppe in mein Notizbuch anzufertigen und ihr auf diese Art und Weise malerisch allen erdenklich moeglichen Schaden zuzufuegen, um sie am Ende visuell aus dem Zugfenster zu schmeissen.
Dies zum Thema Zugreisen und nicht mehr....

Donnerstag, 6. August 2009

Beijing Teil II







Am naechsten Tag entscheiden wir uns nach einigem Hin- und Her unser "Spucknapf-Hotel" zu verlassen und statt Zug diesmal den chinesischen Bus auszuprobieren. Jener faehrt dann auch fast ohne uns, aber MIT unserem Gepaeck ab.
In Beijing schlafen wir eine weitere Nacht im alten Teehaus. Ich schaue mich am anderen Tag nach einer Gitarre um, mit den Gedanken an die Option vielleicht zwischenzeitlich mit Musik in der Strasse etwas Geld zu machen. Mein Talent ist mit Sicherheit nicht besonders, aber in China habe ich den Vorteil, dass die hier auf alles was schraeg ist stehen....vielleicht landet dann etwas Geld im Hut. Wie auch immer, ich finde nur Gitarren fuer 35 Euro die schon recht maessige Qualitaet haben, also vertage ich die Aktion zur grossen Enttaeuschung meiner drei "business-partner".

Dann ziehe ich um zu einem Couch-Surfer, weil es mein Budget schont. Joe ist Amerikaner und studiert chinesisch hier, aber ist gleichzeitig auch Englisch-Lehrer. Im Grunde verbringe ich aber mehr Zeit mit seiner chinesischen Freundin Li Li. Sie ist ein sehr interessantes, offenes, chinesisches Maedchen. Ich spaziere mit ihr einen Tag um einen der Seen in Beijing. Wir sprechen ueber sehr interessante Themen, von Erziehung ueber Umweltschutz bis hin zu kulturellen Differenzen. Ich bin sehr ueberrascht ueber ihre, nicht typisch-chinesischen Ansichten, und geniesse die Zeit mit ihr. Ich bin immer wieder froh unterwegs so viele junge Menschen zu treffen, die trotz eines gaenzlich verschiedenen kulturellen HIntergrundes doch ganz dieselben Ansichten zu haben wie ich. Das laesst mich zuweilen beruhigter in die Zukunft schauen. Li Li stammt in direkter Linie von Konfuzius ab und ihrer Eltern wohnen noch in dieser Provinz von China. Allerdings hat sie auch ihre Kritiken an dieser Religion. Sie haelt z.B. nichts davon jemanden immer auf drei Umwegen zu sagen, dass er z.B. nicht richtig handelt. Sie mag den direkten Weg, was sie auch prompt zeigt, als mich ein Strassenhaendler fuer ein kaputtes Diabolo verantwortlich machen will. Sie managet geschickt und direkt die Situation.

Meine belgische Freundin Hathi wird in wenigen Tagen zurueckfliegen um sich einen neuen "Lebensentwurf" zu basteln, wie sie sagt. Sie hat ueber acht Jahre fuer MSF (Aerzte ohne Grenzen) in allen Teilen der Erde gearbeitet. Mit 31 moechte sie nun versuchen sich niederzulassen, obwohl sie ihren Job ueber alles liebt.
Also verbringe ich die restlichen Tage mit ihr und wir stellen ein ziemliches Marathonprogramm auf die Beine. Wir besichtigen den Temple of heaven, die Verbotene Stadt und den Summer Palace.

Wir versuchen dabei immer entgegengesetzt der Touristenmassen zu arbeiten. An einem Sonntag verlassen wir daher recht fluchtartig die Verbotene Stadt und vertagen das Projekt. Die Verbotene Stadt ist recht teuer (6Euro) und Studentenpreise fuer internationale Studenten gibt es haeufig nicht (klar, weil ja alle Weissen reich sind und Geld haben, Generalisierung macht Sinn...)
Dafuer habe ich Glueck als wir am naechsten Tag in die Verbotene Stadt gehen. Die Frau hinter dem Schalter gibt mir daemlicherweise zwei Tickets und schon sind wir auch ganz gross im "re-selling" business zusammen mit der oertlichen, chinesischen Ticket-Mafia. Aber wir sind fairer und verkaufen das Ticket fuer den normalen Preis an eine franzoesische Familie.

Die Verbotene Stadt wird so in Anschlag genommen, dass sie ihren Namen eigentlich gar nicht mehr verdient. Eigentlich ist es ja auch der Kaiserpalast (Gugong). Sie heisst verbotene Stadt, weil kein sterblicher Buerger sie je betreten durfte, und das Personal sie uebrigens ihr ganzes Leben nicht verlassen durfte, die armen Schweine...
Trotz der Massen finden wir auch hier kleinere Innehoefe und leere Gassen in die wir fluechten koennen. Immerhin ist der Palast ganze 720000 Quadratmeter gross und zaehlt ueber 9000 Raeume. Ich meine klar, dass es dann viele Raueme gibt, die jetzt nicht gerade DIE Funktion haben, z.B. ein einziger Raum nur fuer die erste Hochzeitsnacht....

Abends koche ich fuer Joe, Li Li und seine amerikanische Mitbewohnerin deutschen Eintopf. Zumindest versuche ich das, mit dem was der chinesische Supermarkt zu bieten hat. Es klappt ganz gut und meine "Gaeste" bzw. "Gastgeber" freuen sich sehr und essen den deutschen Eintopf mit chinesischen Staebchen. Am Ende schenkt Joe mir wahrhaftig eine Gitarre! Wir starten einen ganzen Gitarrenabend mit Liedersingerei. Da er recht viele Couch-Surfer zu Besuch hat, laesst jeder etwas zurueck, von Hosen, Rucksaecken bis eben Gitarren. Die konnte ein anderer Amerikaner nicht mehr mit zurueck nehmen, weil sie zu schwer fuer das Flugzeug war. Ich freue mich natuerlich derbe, und lasse dafuer meine russische Train-Jogginghose (GM-Hose) dort, die ich bei den hiesigen Temperaturen nun wirklich nicht mehr brauche.
Hathi wird mein zweites Fleece mit nach Belgien nehmen, gibt mir dafuer ein T-Shirt und ich kann mir das Fleece auf dem Rueckweg dort mal irgendwann abholen...

Der Sommerpalast ist einfach nur riesig, und war quasi als "Spielwiese" und zur Zerstreuung der jeweiligen Kaiser der Dynasien gedacht. Wir wandern durch die Gaerten und ueber "Jade-Belt-Bruecken" und kommen in einen weniger frequentierten Teil. Dort gibt es einen See in dem einige Leute baden, obwohl es verboten ist. Nach einigen "Check-Minuten" springen wir auch hinein und geniessen ein erfrischendes Bad inmitten von Peking :-)

Dann muss ich mich schweren Herzens von Hathi verabschieden. Sie war die beste Reise-Company die ich bisher hatte (neben Gerri in Skandinavien natuerlich!!!). Wir hatten soviel Spass zusammen und haben China haeufig einfach nur ausgelacht. Ich werde sie definitiv vermissen. China ist nach wie vor ein Land indem ich mir nie sicher sein kann, was als naechstes passiert bzw. kann ich fuer mich keine klare Linie ausmachen, keine Regel/Kultur/Mentalitaet, welcher die Leute folgen oder wonach sie agieren. Da ist es gut eine vernuenftige Reisebegleitung zu haben die auch alles mit Humor nimmt.
Wegen den Unruhen in der Xinjang-Provinz werden zur Zeit immer mehr Seiten wie z.B. Facebook einfach fuer 6 Monate oder laenger geschlossen, weil sie z.B. vermeiden wollen, dass Videos von den Unruhen online gestellt werden. Und dies alles wird eben nur von der einen Partei bestimmt. Innerhalb eines Tages kann man dieses Land also lieben und hassen. Fuer mich waere es hier kein Platz zum leben, dass ist mal klar! Viele Menschen sind hier aufgrund ihrer Erziehung nicht mal dazu faehig sich eine eigene Meinung zu bilden. Gleichzeitig koennen sie dich mit einem Laecheln auf dem Gesicht betuppen.

Andererseits gibt es auch viel schöne, offene Gespraeche, weil Chinesen generell sehr interessiert sind an dem was "anders" ist. Und fuer diejenigen die einen ohne "business-Hintergrund" helfen ist es ein grosses Vergnuegen. Fuer mich gestaltet es sich allerdings schwierig zu unterscheiden, ob man angesprochen wird aus reiner Freundlchkeit, oder weil man am Ende etwas kaufen soll. Hier zeigen sich dann eben die grossen, kulturellen Unterschiede (Hiermit mache ich aber auch nochmal eben klar, dass meine Betrachtungsweise und Informationen hier rein subjektiv sind - andere Leute moegen komplett andere Erfahrungen machen!)

Ich werde jedenfalls weiterhin versuchen mit das Beste rauszpicken und ggf. "zurueckzubetruegen". Ehrlichkeit und Hoeflichkeit haben leider nicht ueberall auf der Welt den gleichen Stellenwert, und hier ist es auch nicht immer ratsam allzu hoeflich zu agieren, weil sonst kommt man naemlich NIE dran. Das faellt mir zuweilen schwer.

Nachdem ich also Hathi verabschiedet habe, nehme ich mir zwei Tage Urlaub, d.h. ich verbringe die Zeit einfach nur im Hostel, bringe meine Klamotten wieder auf Vorderman, wasche, repariere, fuelle auf....
Dann versuche ich ein Ticket nach Xi'an zu bekommen. Wieder einmal stehe ich an der Beijing Railway Station an den 65 verschiedenen Schaltern, an denen meterlange Menschenmassen anstehen. Die, mir leider angeborene, Hoeflichkeit laesst mich mehrmals anstehen und mehrmals Scheitern. Irgendwann bekomme ich dann doch irgendwie ein Ticket fuer Samstag Abends. Alle hart and soft sleeper sind fuer das Wochenende total ausgebucht.

Passenderweise wandere ich auf dem Rueckweg an einem Seitenfluegel des Bhfs aus reinem Interesse vorbei, und stelle hier fest, dass es ein "ticket service for foreigners" gibt. Tja, so gemein kann das Leben sein. Ich meine, nicht das ich die 27 Angestellten des Bahhofs die ich vorher gefragt hatte, mich vielleicht, ganz vielleicht auf DIESE Moeglchkeit aufmerksam machen koennten. Nein, man wird einfach zum naechsten Volliioten geschickt. Aber egal, ich habe mein Ticket fuer die naechste Nacht. Anschliessend treffe ich mich mit Ben et Marie, zwei Franzosen, um mit ihnen den Night-Food-Market aufzusuchen. HIer treffe ich dann mit einer lockeren Chance von 1 zu 20 Millionen Manni und Dietmar (diesmal ohne Fahrrad!) wieder. Erinnert ihr euch? Die beiden alten Herren, die ich in der Mongolei getroffen habe, die mit dem Rad von Irkutstk nach Peking fahren. Die beiden freuen sich total mich gesund wieder zu sehen, und mir geht es genauso.
Wir bewundern die vielen Leckereien die es hier gibt. Die Hauptsnacks sind kleine hoelzerne Spiesse mit diversen Delikatessn aufgespiesst. Der chinesische Charakter hierfuer ist simpel, und sieht wirklich aus wie ein Spiess, und nennt sich Tshuaaooo.
Es gibt also Tschuaoos mit Hueherfleisch, Fruechten, Soja, Gemuese - naklar- aber es gibt eben auch Spiesse mit Skorpionen, Seidenraupen, Tausendfuessler, Heuschrecken, Kaefern, und - jetzt wirds traurig - mit kleinen Seepferdchen, Seesterne oder nur die Arme von kleinen Oktopussen. Die ganze Nummer wird dann einfach - zack- fritiert und fertig ist die knusprige Heuschrecke..hmmmm!

Wir lassen uns dieses Geschmackpotpourri nicht entgehen und Ben handelt einen Spiess nach dem anderen runter, so dass wir schimmeligen Tofu firitert, Seestern, Haifischfleisch und "Bird nest" (was auch immer das war) probieren. Alles in Ordnung bis "gar nicht schlecht" bloss der "smelly Tofu" schmeckt exakt genauso wie das, was Bauer Bickel bei uns im Fruehjahr aufs Feld bringt. und wird deswegen NICHT verspeisst.
Im Grunde ist es aber gut, dass die Chinesen einfach alles essen. Sonst wuerde ich mir allmaehlich Sorgen machen wie man dieses Land in Zukunft fuettern soll. Immerhin kommen fast 50% des Fleischbedarfs aus "Inner Mongolia", der Teil von China, der an die Mongolei grenzt, und stark mit dem Problem Desertifikaiton zu kaempfen hat. Wenn das Grasland also nicht mehr genug hergibt...dann also Skorpione und Vogelnester :-)

Am naechsten Tag verabschiede ich die Franzosen in die Mongolei. Fuer mich nimmt der Tag noch eine unerwartete Wendung.Tagsueber passiert nicht viel, ich checke aus, bringe einem Spanier ein wenig Gitarre bei, und kaufe Lebensmittel fuer den Zug. Dann gibt es zwei Zeichen die mir sagen, diesen Zug nicht zu nehmen. Nummer eins ist, als ich an der Rezeption nach dem Weg zum Zug frage, stellt diese fest, dass ich lediglich eine Stehplatzkarte fuer den Zug habe. Heisst also, eine Nacht stehen ( es geht also noch schlimmer als Mongolian-public-transport...oder ist stehen am Ende angenehmer, weil man sich nicht so schnell verkrampfen kann?)

Nummer zwei ist, ich lese im Internet das in drei Tagen in Shanghai eine totale Sonnenfinsternis ist. Die laengste des Jahrhunderts! Die Couch-Surfing-Szene von Shanghai scheint sehr aktiv zu sein und hat hierzu ein Event geplant. Sie haben einige Zimmer in einem Hotel am Strand gemietet und wollen dort die Sonnenfinsternis sehen. Es haben sich bereits 70 Mitglieder angemeldet. Also aendere ich zwei Stunden vor Abfahrt meine Plaene, gebe mein hart erworbenes Ticket nach Xi'an zurueck und besorge mir ein Ticket (diesmal am Schalter fuer foreigners!) nach Shanghai und rufe Joe an, ob er mich nochmals aufnimmt. Der sagt, na klar, und ich fuehle mich besser mit meiner Entscheidung.